Varel - Im April 1991 wies der „Gemeinnützige“ auf eine Sendung hin, die in Radio Bremen unter dem Titel „Der Expressionist vom Jadebusen“ zu hören war. Im Mittelpunkt standen das Leben und Werk des 1876 in Varel geborenen Schriftstellers, Übersetzers und Reichstagsstenografen Ferdinand Hardekopf. Jetzt, 30 Jahre später, hat der Autor Friedhelm Rathjen den unveränderten Text des Radiobeitrags zusammen mit einem zehn Jahre später entstandenen Funkessay über den aus Vechta stammenden Erzähler und Lyriker Rolf Dieter Brinkmann als Taschenbuch veröffentlicht.
Ferdinand Hardekopf wurde am 15. Dezember 1876 in einem Haus in der Nebbsallee als erstes Kind einer Kaufmannsfamilie geboren wurde. Er war ein außergewöhnlich begabter Schüler. Ganz gleich ob zunächst in der Vorschule und Realschule in Varel oder ab 1887 am Großherzoglichen Gymnasium in Oldenburg: In der Regel war er der Klassenprimus.
Auch nachdem der fast 15-jährige 1891 mit der Familie nach Leipzig gezogen war, setzte sich seine brillante Schülerkarriere fort und baute sein Abitur mit der Note eins. Nach seinem Studium der Philologie in Leipzig und Berlin lebte Hardekopf von 1900 bis 1916 in der Reichshauptstadt. 1921 verließ er Deutschland schließlich und starb 1954 in Zürich/Schweiz.
Mit seinem engagierten Radioessay von 1991 zählte der Literaturkritiker und Übersetzer Friedhelm Rathjen zu den wenigen, die damals auf die Bedeutung Ferdinand Hardekopfs aufmerksam machten, der nach seinem Tod (1954) für Jahrzehnte in fast völlige Vergessenheit geraten war. Der Autor umreißt den literarischen Rang des „Provinzsprösslings“ aus Friesland, der vor allem in seiner Berliner Zeit nach 1900, so Rathjen, „zur vordersten Riege der lyrischen Erneuerer“ gehörte.
Ein weiteres Thema sind die Übersetzungen Hardekopfs, durch die er zu einem „herausragenden Vermittler der französischen Literatur im deutschen Sprachraum“ wurde. Verbunden werden die Passagen über das Schaffen Hardekopfs mit wichtigen Stationen seines Lebens. Beleuchtet wird zum Beispiel die lange Zeit, die der entschiedene Pazifist und Nazigegner in Frankreich und der Schweiz verbrachte. Nach 1933 war diese Zeit des Exils, so Rathjen, ein ständiges „Balancieren am Rande des Abgrunds“, das erst mit Hardekopfs Tod in einem Züricher Spital ein Ende fand.
Auch die Kindheit und Jugend des Kaufmannssohns aus der Nebbsallee kommt nicht zu kurz: Rathjen nahm bei seinen Recherchen Kontakt zum 2020 verstorbenen Vareler Stephan Lehmann-Özyurt auf, einem Hardekopf-Kenner, der ihn aus seinem Antiquariat an der Osterstraße mit unbekannten biografischen Informationen und unveröffentlichten Dokumenten versorgte. So konnte der Hörfunk-Autor teilweise recht detailliert auf die 1991 noch kaum erforschten Vareler Jahre Hardekopfs Bezug nehmen.
Die Form des Funkessays, bei der die Lebensgeschichte sowie Zitate von und über Hardekopf auf vier Sprecher verteilt werden, behält auch in den 20 Seiten der Lesefassung ihren besonderen Reiz. Selbst wenn einige Details nach 30 Jahren nicht mehr ganz dem aktuellen Stand der Hardekopf-Forschung entsprechen, ist der Text auch heute noch allen zu empfehlen, die über den „Expressionisten vom Jadebusen“ mehr erfahren möchten.